6. Zürcher Hausärztetag

Brennpunkt Notfall: Probleme und Lösungsansätze in der ambulanten Notfallversorgung im Kanton Zürich

Der Zürcher Hausärztetag ist die Austauschplattform von Medizin und Politik im Kanton Zürich. An dieser 6. Ausgabe ging es um das hochaktuelle Thema Notfall und die Frage, wie die qualitativ hochstehende Versorgung der Zürcher Bevölkerung in der Zukunft, auch im Hinblick auf die demografische Entwicklung und den Fachkräftemangel aufrechterhalten werden kann.

Mit Dr. med. Peter Indra, Amtschef des Amtes für Gesundheit, Dr. med. Corina Wilhelm, Präsidentin der VZK (Verein Zürcher Kinderärzte & Pädiaterin) und Martin Spillmann, Präsident des WIG (Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie und Co-Leiter Haus- und Notfallpraxis Permanence Winterthur AG) konnten sehr renommierte und fachkundige Redner:innen gewonnen werden. Leider musste Martin Spillmann krankheitshalber kurzfristig durch Dr. med. Esther Wiesendanger (Vorstand AWA, Vorstand mfe Zürich und Co-Leiterin Permanence Winterthur AG) vertreten werden.

Alle drei zeigten eindrücklich die zu erwartenden Entwicklungen auf. Dr. med. Peter Indra zeigte die Prognosen der jährlichen hausärztlichen Konsultationsvolumen, so rechnet man per 2030 mit einem Bedarf von 24 Millionen Konsultationen pro Jahr, Tendenz steigend. In Gegensatz dazu nimmt die Kapazität des Konsultationsangebots massiv ab. Dadurch entsteht eine Lücke von 10 Millionen Konsultation jährlich, sprich 40% des Bedarfs. Diese Tendenz wird sich direkt auch auf die Versorgungssituation im Notfall niederschlagen.

Die Gründe für den Mangel an Haus- und Kinderärzt:innen sind vielfältig, die Pensionierungswelle der Babyboomer-Generation ist ein relevanter Faktor. Aber auch die Bedürfnisse der Gesundheitsfachkräfte haben sind in den letzten Jahren stark verändert, so zum Beispiel das Bedürfnis vieler Ärzt:innen nach einem Teilzeitpensum.

 «Dreh- und Angelpunkt in der Grundversorgung von morgen sind die Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner», betont Peter Indra. Ganz besonders die Notfallversorgung ist auf dem Sockel einer funktionierenden Grundversorgung aufgebaut. Die Notfallstellen in Spitäler müssen rund um die Uhr besetzt werden können – die hausärztlichen Notfallpraxen bis spät in den Abend – aber nicht weniger zentral sind die Konsultationen in den kleineren Praxen. Denn viele Fälle können durch die Grundversorger:innen abschliessend diagnostiziert und behandelt werden und so der Gang in den Notfall verhindert werden.

Grosses Verbesserungspotenzial besteht insbesondere auch im Bereich der Kindernotfälle, denn satte 40% der Notfälle im Kanton betreffen Kinder und Jugendliche. Die Dringlichkeit drängt sich im Kindernotfall als noch stärker auf, da das System in den vergangenen Jahren mehrfach an die Belastungsgrenze stiess. Dr. med. Corina Wilhelm, Präsidentin der Vereinigung Züricher Kinderärzte, hebt insbesondere die Problematik der fehlgeleiteten Patientenströme hervor. Es darf nicht vergessen werden, dass Kinder keine kleinen Erwachsenen sind und die Eltern sich dementsprechend rascher um ihr Kind Sorgen machen. Umso wichtiger ist eine fachkompetente telefonischen Beratung, denn bei zwei Drittel aller Anrufe der Eltern beim Aerztefon geht es um eine Entscheidungshilfe, wie zu handeln ist. Durch eine verbesserte Triage kann verhindert werden, dass leichtere Fälle im Spitalnotfall behandelt werden. Damit die Bevölkerung aber tatsächlich zuerst zum Hörer greift, muss die Triagestelle bekannter und attraktiver werden: unmittelbare Erreichbarkeit, eine ausgezeichnete medizinische Beratung sowie bei Bedarf eine bevorzugte Vermittlung in die Weiterversorgung sind ein Muss.

Dr. med. Esther Wiesendanger, Vorstandsmitglied von mfe Zürich und AWA sowie Co-Leiterin der Haus- und Notfallpraxis Permanence Winterthur, betont, das Notfallsystem sei prinzipiell durch die Hausärzt:innen über die letzten 20 Jahre gut organisiert worden. Durch eine geteilte Verantwortung in Bezug auf die Telefontriage, den Praxisnotfalldienst und die Notfallhausbesuche, können zunehmend auch die Anforderungen junger Ärzt:innen an die Arbeitsbedingungen erfüllt werden oder anders gesagt, die aktuellen arbeitsrechtlichen Vorgaben eingehalten werden. Dies führt zum Beispiel in der Region Winterthur zu einer Attraktivitätssteigerung und hat sich im Kanton Zürich damit gezeigt, dass der Hausarztberuf besser da steht in Bezug auf junge Nachfolger:innen als mit der aktuell erwarteten demographischen Entwicklung zu erwarten wäre. Trotzdem ist die Lage im Erwachsenennotfall leider auch schon sehr angespannt und Wartezeiten gehören zunehmend zur Norm. Einen bisher zu wenig beachteten Aspekt sieht Esther Wiesendanger bei der Verbesserung der Gesundheitskompetenz von Patient:innen, welche insbesondere seit der Covidpandemie stark verunsichert sind.

In der Diskussionsrund mit Dr. med. Tobias Burkhardt, Präsident der AGZ, Dr. med. Rainer Hurni, Verantwortlicher des Ressorts Tarife bei mfe Zürich, Mario Fasshauer, Geschäftsleiter Patientenstelle Zürich sowie den Referentinnen und Referenten unter der Moderation von Dr. med. Philippe Luchsinger, Präsident von mfe Schweiz, zeigt sich, dass die Interessen und Bedürfnisse von Ärzt:innen und Patient:innen geteilt werden. Den Wunsch der Patient:innen mehr Zeit und ein Vertrauensverhältnis mit dem behandelnden Arzt aufzubauen, wird auch von den Haus- und Kinderärzt:innen bestärkt. Die Teilnehmenden sind sich einig, dass ebenfalls die Patientenedukation ein wichtiger Hebel in allen Alterskategorien ist. Durch die Förderung der Gesundheitskompetenzen kann die Bevölkerung besser darauf sensibilisiert werden, wann ein Gang in den Spitalnotfall Sinn macht. Viele Zürcher:innen kennen heute die Struktur des Gesundheitswesens nur ungenügend. Eine Behandlung von weniger gravierenden Fällen bei den vertrauten Haus- oder Kinderärzt:innen entlastet nicht nur den Notfall, es senkt auch die Gesundheitskosten deutlich und wird von den Patient:innen meist als angenehmer empfunden, als stundenlang im Spitalnotfall zu warten.

Äusserst erfreulich ist, dass der Wille und die gemeinsamen Lösungsansätze vorhanden sind. Die Unterstützung aus der Politik und der Verwaltung ist zentral, um die Notfallorganisation längerfristig zu sichern. Wenn es langfristig gilt, die Rahmenbedingungen so zu verbessern, dass die Grundversorgung solide aufgestellt bleiben soll, so gilt es kurzfristig, die Notfallversorgung in Peakzeiten vor einer Überlastung zu schützen. Auch dieses Jahr rechnet man wieder mit einer heftigen Grippewelle. Der Verteilung der Patientenströme auf die Spitalnotfälle, kinder- und hausärztlichen Notfallpraxen und die normalen Sprechstunden des eigenen Kinder- oder Hausarztes kommt dabei eine zentrale Rolle zu.

mfe Zürich bleibt dran und wird alles daransetzen, die Notfallversorgung für die gesamte Zürcher Bevölkerung nachhaltig zu stärken und auch zukünftig zu sichern. Ohne eine starke Hausarztmedizin ist eine gute Versorgung nicht möglich.

Mit über 90 Gästen konnten wir einen neuen Teilnehmerrekord verzeichnen. Wir danken allen für das riesige Interesse und die Teilnahme und freuen uns auf den erneuten Austausch im Rahmen der 7. Ausgabe des Zürcher Hausärztetags am 3. Oktober 2024.

Impressionen